Still und heimlich vor AnkER gegangen?
Erstaufnahme entwickelt sich zum AnkER-Zentrum
Keine Zuweisungen von Flüchtlingen mehr auf die Kommunen
Flüchtlingsrat mahnt politische Entscheidung an
16.10.2019 – In Hessen werden neu angekommene Flüchtlinge seit einigen Wochen nicht mehr auf die Kommunen verteilt, sondern müssen in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) in Gießen oder ihren Außenstellen verbleiben. Die Zuweisungen auf die Landkreise und Kommunen sind fast auf null gesunken, lediglich anerkannte Flüchtlinge werden noch verteilt.
„Damit entwickelt sich die Erstaufnahme in Gießen still und heimlich doch zu einem AnkER-Zentrum, auch wenn die Landesregierung bislang stets abgelehnt hatte, ein solches einzurichten“, kommentierte Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrates, die Entwicklung. „Erstaunlich ist auch, dass eine derart gravierende Änderung in der Flüchtlingspolitik des Landes einfach so auf Verwaltungsebene eingeführt wird, ohne dass es dazu einen politischen Beschluss oder ähnliches gegeben hätte, insbesondere da dies ja in direktem Widerspruch zum Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Regierung steht.“
Im Koalitionsvertrag (S. 125) heißt es unter der Überschrift Erstaufnahme und Verteilung von geflüchteten Menschen auf die Kommunen : „Unser Ziel ist, dass die Dauer des Verbleibs in der Erstaufnahmeeinrichtung nicht mehr vom Herkunftsland oder der Bleibeperspektive der Flüchtlinge abhängig ist, sondern eine möglichst schnelle Verteilung auf die Kommunen gewährleistet ist.“ Dies hatte der Flüchtlingsrat als integrationspolitisch vernünftig ausdrücklich begrüßt.
Hintergrund der neuen Praxis ist, dass am 21.08. das von Flüchtlingsorganisationen nur als „Hau ab-Gesetz“ betitelte „Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ in Kraft getreten ist, mit dem eine ganze Reihe von Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht eingeführt wurden. Darunter findet sich auch die Verlängerung des Aufenthaltes in der Erstaufnahme von sechs auf 18 Monate. Allerdings gelten die Regeln, nach denen eine vorzeitige Entlassung aus der Erstaufnahmeeinrichtung möglich ist, weiter fort. So heißt es in § 48 AsylG ausdrücklich, dass die Verpflichtung, in der Erstaufnahme zu wohnen endet, sobald die Betroffenen verpflichtet sind, an einem anderen Ort den Wohnsitz zu nehmen, also sobald eine Zuweisung auf eine Kommune erfolgt. Trotzdem scheint in Hessen eine Verwaltungspraxis Einzug gehalten zu haben, dass die Menschen nicht mehr verteilt werden.
Im Zeitraum vom 21.08.2019, dem Tag als das Gesetz in Kraft trat, bis heute erhöhte sich die Zahl der in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung untergebrachten Flüchtlinge um ein Drittel, von 1.602 Personen (Stand 21.08.) auf 2.146 (Stand 16.10.). In den letzten Jahren hat das Land Hessen regelmäßig Kapazitäten in der Erstaufnahme, die 2015/2016 neu geschaffen worden waren, abgebaut und Standorte geschlossen. Sollte die Praxis des Nichtverteilens beibehalten werden, müsste das Land bald wieder neue, große Einrichtungen eröffnen. Erfahrungen mit den bestehenden AnkER-Zentren zeigen, dass diese ist zutiefst integrationsfeindlich sind, wie in einer Expertenanhörung im Bayerischen Landtag zu Ankerzentren kürzlich betont wurde .
„Integrationspolitisch ist dies natürlich eine Katastrophe. Integration findet vor Ort statt und sollte möglichst früh beginnen. Wenn die Menschen jetzt erst einmal 18 Monate in der HEAE verbleiben und erst dann verteilt werden, ist dies sowohl für die Menschen, die davon betroffen sind, als auch für die Gesellschaft eine vergeudete Zeit“, erklärte Scherenberg abschließend in Frankfurt. „Wir erwarten von der Landesregierung, dass die Möglichkeiten zur Verteilung der Menschen, die das Gesetz nach wie vor bietet, auch ausgeschöpft werden, und dass hierzu eine politische Entscheidung getroffen und öffentlich kommuniziert wird. Ein AnkER-Zentrum in Hessen brauchen wir nicht.“