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Offener Brief: Deutschland braucht ein gerechtes Staatsbürgerschafts-, Einbürgerungs- und Wahlrecht!

Wir sind ein bundesweites Bündnis aus migrantischen und rassismuskritischen Organisationen und begrüßen ausdrücklich die geplante Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Volle politische und gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, ist essentiell für eine Demokratie und eine moderne Einwanderungsgesellschaft. Doch um diese tatsächlich zu erreichen, halten wir es für notwendig, weitere Aspekte in das Reformvorhaben einzubringen und neben der Staatsangehörigkeitsreform die geplante Wahlrechtsänderung dazu zu nutzen, ein Wahlrecht für alle einzuführen.

1. Uneingeschränktes ius soli
Der aktuelle Referent*innenentwurf des BMI sieht vor, dass in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, wenn ein Elternteil seit fünf (bisher: acht) Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Doch die Verkürzung der Wartezeit ist keine wirkliche Verbesserung der Situation. Diese Regelung wird weiterhin verhindern, dass tausende Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten – vor allem Kinder, die in Familien mit Duldung hineingeboren werden. Nicht mitbedacht ist zudem im aktuellen Gesetzesentwurf die Situation von Kindern, die in Deutschland immer noch staatenlos geboren werden. Sie können die deutsche Staatsangehörigkeit nur unter schwierigen Voraussetzungen und erst nach mehreren Jahren erwerben. Dadurch steigt das Risiko, dass Staatenlosigkeit auf die nächste Generation übertragen und somit reproduziert wird.

Deshalb fordern wir ein uneingeschränktes ius soli.

In 33 Ländern weltweit ist das bereits der Fall. Kinder, die dort geboren werden, erhalten sofort die Staatsangehörigkeit – unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsstatus der Eltern.


2. Mehrfache Staatsangehörigkeiten
Die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit/en als Voraussetzung für die Einbürgerung hält derzeit viele Menschen davon ab, sich einbürgern zu lassen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es selbstverständlich ist, dass nicht alle Kinder deutsche Eltern haben,
dass Menschen migrieren und bleiben, an mehreren Orten zu Hause sind und gesellschaftliche Prozesse, wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben, mitgestalten. Genauso sollte es selbstverständlich sein, mehrere Staatsangehörigkeiten zu besitzen. Für viele ist eine doppelte Staatsangehörigkeit bereits Alltag. 2021 erfolgten 69 % aller Einbürgerungen unter der Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Dass die Möglichkeit zur Mehrstaatigkeit nicht für alle besteht, ist ungerecht und diskriminierend. Sie widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes und der Europäischen Konvention zur Staatsangehörigkeit. Eine generelle Zulassung der doppelten Staatsangehörigkeit sowie von Mehrstaatigkeit beschleunigt zudem den Einbürgerungsprozess und entlastet die Behörden, die die Aufgabe der alten Staatsangehörigkeit nicht mehr überprüfen müssen. In den meisten EU-Ländern ist die doppelte bzw. mehrfache Staatsangehörigkeit bereits Realität.

Wir sprechen uns ausdrücklich für die doppelte bzw. mehrfache Staatsangehörigkeit, so wie sie im aktuellen Referent*innenentwurf vorgesehen ist, aus.

3. Abschaffung von Einbürgerungshürden
Dass die Einbürgerungsrate in Deutschland im EU-Vergleich so niedrig ist, hat auch damit zu tun, dass die Voraussetzungen unnötig hoch sind. So können Armut, der Verlust der Wohnung, des Arbeitsplatzes oder das Fahren ohne Fahrschein schon Gründe für eine Ablehnung sein. Wie schnell die Einbürgerung erfolgt, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland – teilweise von Kommune zu Kommune – und ist vom Ermessen von Sachbearbeiter*innen abhängig. Es gibt jedoch gute Beispiele in der deutschen Geschichte, die zeigen, dass eine unbürokratische Einbürgerung möglich ist, wie etwa die schnelle und unkomplizierte Einbürgerung von Millionen (Spät-)Aussiedler*innen.

Wir fordern, aus diesen positiven Erfahrungen zu lernen und alle Einbürgerungshürden abzuschaffen.

Dass die Einbürgerung nicht für alle so einfach verläuft, hat auch mit der Vorstellung zu tun, wer „deutsch“ ist oder sein sollte. Statt sich auf ein völkisches und rassistisches Verständnis von Deutsch-Sein zu beziehen, wie es die AfD aktuell in einem Gegenentwurf zur Reform des
Staatsangehörigkeitsgesetzes fordert, ist es dringend notwendig, dass sich alle demokratischen Parteien davon distanzieren und zu einer modernen und vielfältigen Gesellschaft bekennen. Dazu gehört auch ein unkompliziertes Einbürgerungsrecht. Neue, vereinfachte Regeln für Einbürgerungen bieten die Chance, Gesetze und Verwaltungsvorschriften transparenter für alle Beteiligten zu machen und Einbürgerungsbehörden zu entlasten.

4. Wahlrecht für alle
Aktuell leben in Deutschland über 12 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit7, wovon 10 Millionen im wahlfähigen Alter sind.8 Das heißt: Über 14 Prozent der Bevölkerung haben keine Möglichkeit der politischen Repräsentation. Das stellt ein eklatantes Demokratiedefizit dar! Selbst wählen zu können oder sich zur Wahl aufstellen zu lassen, ist einer der Grundpfeiler der Demokratie. Alle, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, müssen diese beeinflussen können, auch wenn sie sich nicht für eine Einbürgerung entscheiden. Eine Erleichterung der Einbürgerung ist hierfür nicht ausreichend. Das Wahlrecht darf nicht von der deutschen Staatsangehörigkeit, dem Pass abhängen, sondern davon, wo Menschen leben. Hinzu kommt die Ungleichbehandlung von EU-Bürger*innen und Nicht-EU-Bürger*innen. So können EU-Staatsangehörige bereits nach kurzem Aufenthalt auf kommunaler Ebene wählen und kandidieren. Nicht-EU-Staatsangehörige, die zum Teil schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben oder sogar hier geboren sind, jedoch nicht. Die parallel zur Staatsangehörigkeitsreform geplante Wahlrechtsreform ist eine Chance, dieses Demokratiedefizit zu beheben und sollte genutzt werden.

→  Wir fordern das aktive und passive Wahlrecht auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie für die Wahlen zum EU-Parlament für alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt seit mindestens drei Jahren in Deutschland haben. 14 von 27 EU-Mitgliedsstaaten erlauben Drittstaatsangehörigen zumindest das Wahlrecht auf kommunaler Ebene.

Webseite: www.passtunsallen.de