Frankfurt, den 14.12.2021
Erneute Sammelabschiebung nach Pakistan
Flüchtlingsrat fordert Land auf, Bleiberechte aus Koalitionsvertrag vorwegzunehmen
Obwohl die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag eine Abkehr von der gescheiterten Abschiebepolitik der Vorgängerregierung beschlossen haben und diverse spürbare Verbesserungen in Bezug auf Bleiberecht verabredet haben, tun die hessischen Behörden, als sei nichts gewesen und organisieren den nächsten Sammelcharter nach Pakistan. An Bord sind wieder einmal viele Menschen, die entweder schon jetzt ein Bleiberecht bekommen könnten oder aber sehr sicher unter die angekündigten Regelungen fallen würden – alle lebten seit vielen Jahren in Deutschland, viele hatten Arbeit, sofern ihnen das Arbeiten nicht verboten war.
„Das Vorgehen der Behörden macht einen schon fassungslos. Da werden unbescholtene Menschen nach vielen Jahren Aufenthalt in Deutschland aus ihrem normalen Leben gerissen, obwohl absehbar ist, dass sie demnächst ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland bekommen würden. Es drängt sich der Eindruck auf, als würden die hessischen Behörden unbedingt versuchen, kurz vor Schluss noch möglichst viele Leute abzuschieben“, empört sich Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrats.
Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien heißt es u.a.: „Der bisherigen Praxis der Kettenduldungen setzen wir ein Chancen-Aufenthaltsrecht entgegen: Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, sollen eine einjährige Aufenthalts-erlaubnis auf Probe erhalten können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen“.
Diese Bedingungen erfüllen so gut wie alle derjenigen, die heute abgeschoben werden, z.B. Saqib J. aus Fulda. Er arbeitete seit 2015 in Vollzeit als Lagerist, er hatte auch schon die Beschäftigungsduldung beantragt. Da sich wegen der Corona-Pandemie die Passbeschaffung verzögerte, wurde sein Antrag jedoch abgelehnt. Oder Zulaqir N. aus Flörsheim, der schon seit über vier Jahren in einem Restaurant in Rüsselsheim beschäftigt war. Anees B. aus Frankfurt lebte sogar schon seit 12 Jahren in Deutschland, hat eine deutsche Freundin und wurde jetzt unvermittelt in Haft genommen und abgeschoben.
„Diese Abschiebungen sind umso unverständlicher, als klar ist, dass in den nächsten Monaten verschiedene Bleiberechtsregelungen ins Gesetz kommen werden, von denen die Betroffenen sicher profitiert hätten“, so Scherenberg weiter. „Früher gab es in solchen Fällen – auch in Hessen – so genannte Vorgriffserlasse, die angekündigte Regelungen vorweggenommen und Betroffene geschützt haben. Daher fordern wir die Landesregierung auf, jetzt sofort ein Abschiebungsmoratorium zu erlassen, damit es nicht zu weiteren Abschiebungen von potentiell Begünstigten kommt.“
Dem Flüchtlingsrat liegen Berichte zu vielen weiteren Personen aus Hessen vor, die entweder aus der Abschiebungshaft heraus abgeschoben wurden oder aber gestern Abend noch verhaftet und zum Flughafen verbracht wurden. Neben Hessen beteiligten sich auch andere Bundesländer wie Niedersachsen oder Hamburg an dem Charter.
Anhang: Auszug aus dem Koalitionsvertrag (S.138f.)
Wir werden das komplizierte System der Duldungstatbestände ordnen und neue Chancen für Menschen schaffen, die bereits ein Teil unserer Gesellschaft geworden sind: Gut integrierte Jugendliche sollen nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland und bis zum 27. Lebensjahr die Möglichkeit für ein Bleiberecht bekommen (§ 25a Aufenthaltsgesetz, AufenthG). Besondere Integrationsleistungen von Geduldeten würdigen wir, indem wir nach sechs bzw. vier Jahren bei Familien ein Bleiberecht eröffnen (§ 25b AufenthG).Der bisherigen Praxis der Kettenduldungen setzen wir ein Chancen-Aufenthaltsrecht entgegen: Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, sollen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen (insbesondere Lebensunterhaltssicherung und Identitätsnachweis gemäß §§ 25 a und b AufenthG).Wir wollen Geduldeten in der Ausbildung und ihren Betrieben mehr Rechtssicherheit durch eine Aufenthaltserlaubnis (§ 60 c AufenthG) verleihen. Die Beschäftigungsduldung wollen wir entfristen und Anforderungen realistisch und praxistauglicher fassen. Die „Duldung light“ schaffen wir ab. Tragen Geduldete nicht zur Klärung ihrer Identität bei, wird der Zeitraum der Duldung nicht für ein Bleiberecht angerechnet. Wir werden die Klärung der Identität einer Ausländerin oder eines Ausländers um die Möglichkeit, eine Versicherung an Eides statt abzugeben, erweitern und werden hierzu eine gesetzliche Regelung im Ausländerrecht schaffen.Arbeitsverbote für bereits in Deutschland Lebende schaffen wir ab.