Claudius Voigt von der GGUA/Projekt Q fasst die neue fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit zusammen.
– Weiterleitung –
Die Bundesagentur für Arbeit hat am 23. Mai 2022 eine ausführliche Weisung zum Rechtskreiswechsel vom AsylbLG ins SGB II für Menschen mit (beantragtem) vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG veröffentlicht. Die Inhalte der Weisung sollen im Folgenden übersichtsartig dargestellt werden.
Die BA-Weisung „Bearbeitung von Fällen mit Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG oder entsprechender Fiktionsbescheinigung“ gibt es hier: https://t1p.de/8pzco
Diesen Text gibt es als pdf hier: https://t1p.de/rdx58
- AZR-Registrierung oder ED-Behandlung kann durch die Jobcenter „ohne nähere Prüfung“ unterstellt werden.
Für den Rechtskreiswechsel zum 1. Juni 2022 ist Voraussetzung, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung oder zumindest eine AZR-Registrierung erfolgt ist. Die BA stellt klar, dass die Jobcenter „ohne nähere Prüfung“ unterstellen können, dass diese erfolgt seien. Denn nach dem bis 31. Mai 2022 geltenden Recht ist zumindest die AZR-Erfassung für die Ausländerbehörden gesetzlich vorgeschrieben, ab 1. Juni 2022 ist auch die ED-Behandlung gesetzlich vorgeschrieben. Daher können die Jobcenter davon ausgehen, dass sowohl vor, als auch ab dem 1. Juni 2022 diese Voraussetzungen erfüllt sind. Eine AZR-Abfrage können die Jobcenter im Zweifelsfall selbst vornehmen. - Für Aufenthaltserlaubnisse und Fiktionsbescheinigungen, die vor dem 1. Juni 2022 ausgestellt wurden, reicht als Voraussetzung bis 31. Oktober 2022 die AZR-Erfassung. Die ED-Behandlung ist durch die ABH bis dahin nachzuholen. Eine nicht nachgeholte ED-Behandlung hat keine leistungsrechtlichen Auswirkungen. Auch ohne das Nachholen bleibt nach 31. Oktober der SGB II-Anspruch bestehen, die Leute fallen danach nicht ins AsylbLG zurück.
- Kinder unter 15 Jahren in Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern, die über keine eigene Fiktionsbescheinigung oder Aufenthaltserlaubnis nach § 24 verfügen, haben dennoch Anspruch auf Leistungen nach SGB II (Sozialgeld).
- Der SGB-II-Anspruch kann auch schon in den ersten drei Monaten des Aufenthalts bestehen. Der Ausschluss während der ersten drei Monate des Aufenthalts findet weder bei der Fiktionsbescheinigung, noch bei der Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG eine Anwendung. Auch die ausländerrechtliche Erwerbsfähigkeit (Arbeitserlaubnis besteht oder kann erteilt werden) ist keine Voraussetzung. Die Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland findet bei der Fiktionsbescheinigung keine Anwendung. Bei Besitz der Aufenthaltserlaubnis nach § 24 ist vom gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen.
- Wenn durch die ABH keine Fiktionsbescheinigung mehr ausgestellt wird, weil über die Titelerteilung bereits entschieden und der Druck der Aufenthaltserlaubnis bereits bei der Bundesdruckerei in Auftrag gegeben wurde (wie dies häufig der Fall ist), besteht dennoch ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Die Jobcenter sollen in diesem Fall von der leistungsberechtigten Person beziehungsweise der Ausländerbehörde einen geeigneten Nachweis anfordern.
- Wenn eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt wurde, obwohl später ggfs. mit einer Ablehnung des Antrags auf § 24 zu rechnen ist, besteht für die Zeit der Fiktionsbescheinigung dennoch Anspruch auf SGB II (wichtig insbesondere für Drittstaatsangehörige).
- Eine Fiktionsbescheinigung, die ab dem 1. Juni 2022 ausgestellt wird, soll nur akzeptiert werden, wenn sie den formellen Vorgaben entspricht (offizielles Papier nach diesem Muster: https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthv/anlage_d3.html).
- Eine Fiktionsbescheinigung, die vor dem 1. Juni 2022 ausgestellt wurde, darf bis 31. Oktober 2022 auch dann akzeptiert werden, wenn sie nicht diesem Muster entspricht („Ersatzbescheinigungen“). Die Ersatzbescheinigung soll dafür aber alle Angaben enthalten, die auch in dem offiziellen Muster vorgesehen sind. In diesen Fällen müssen die Jobcenter selbst eine AZR-Abfrage durchführen, um die AZR-Erfassung zu überprüfen. Anlaufbescheinigungen, Verteilbescheinigungen mit FREE oder Ankunftsnachweise sollen jedoch nicht ausreichend sein.
- Für Personen, denen vor dem 1. Juni 2022 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG oder eine Fiktionsbescheinigung auf § 24 AufenthG ausgestellt wurde und die im Mai 2022 AsylbLG-Leistungen erhalten haben, gilt der SGB-II-Antrag zum 1. Juni bis zum 31. August 2022 als gestellt. Sie müssen für eine Bewilligung dennoch die weiteren erforderlichen Angaben machen und dafür mitwirken. Für die Zeit ab September müssen sie selbst einen Antrag stellen. Es empfiehlt sich, beim Jobcenter sicherheitshalber selbst sobald wie möglich einen Antrag zu stellen. Achtung: Wenn im Mai 2022 keine AsylbLG-Leistungen bezogen wurden, gilt die automatische Antragstellung nicht, es muss spätestens bis Ende Juni selbst ein Antrag auf SGB II gestellt werden, um rückwirkend ab 1. Juni einen Anspruch zu haben. Die BA nennt folgende Beispiele:
„Beispiel: Die Fiktionsbescheinigung wurde am 16.05.2022 ausgestellt und es werden im Mai Leistungen nach AsylbLG bezogen. Antragsfiktion gemäß § 74 Abs. 5 S. 1 SGB II zum 01.06.2022, der Antrag gilt als zum 01.06.2022 gestellt. Ab dem 01.06.2022 müssen Leistungen nach dem SGB II bewilligt werden, gegebenenfalls rückwirkend mit Erstattungsanspruch (vgl. Kapitel 15 Übergangsregelung).
Abwandlung: Die Fiktionsbescheinigung wurde am 16.05.2022 ausgestellt, allerdings bislang keine Leistungen nach dem AsylbLG bezogen. Antragstellung auf SGB II-Leistungen erfolgt erst am 14.06.2022. Aufgrund der Rückwirkung zum Monatsersten nach § 37 Absatz 2 Satz 2 SGB II sind Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.06.2022 zu bewilligen.“ - Wenn vor Ausstellung der Fiktionsbescheinigung zunächst AsylbLG- nach § 1 Abs. 1 Nr. 1a AsylbLG bezogen wurde, weil noch keine Fiktionsbescheinigung ausgestellt wurde, endet der AsylbLG-Anspruch mit Ablauf des Monats, in dem die Fiktionsbescheinigung ausgestellt wurde. SGB II beginnt mit dem Folgemonat. Wenn jedoch zunächst kein AsylbLG-bezogen wurde und direkt nach Erteilung der Fiktionsbescheinigung SGB II beantragt wird, beginnt der SGB II-Anspruch unmittelbar mit Erteilung der Fiktionsbescheinigung. Die BA nennt folgende Beispiele:
„Beispiel: Die Person reist am 15.06.2022 ein, äußert ein Schutzgesuch und beantragt Leistungen nach dem AsylbLG. Diese werden ihr auch für Juni und Juli gewährt. Die Fiktionsbescheinigung wird am 06.07.2022 ausgestellt. In diesem Fall sind ab dem Folgemonat der Ausstellung der Fiktionsbescheinigung, also dem 01.08.2022, Leistungen nach
dem SGB II zu gewähren, weil in den Monaten Juni und Juli noch Leistungen nach dem AsylbLG zustehen und deshalb ein Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 SGB II besteht.
Abwandlung: Die Person reist am 15.06.2022 ein. Sie beantragt keine Leistungen nach dem AsylbLG. Am Ankunftsbahnhof wird noch am selben Tag eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt. Die Person beantragt am 27.06.2022 Leistungen nach dem SGB II. Aufgrund der Rückwirkung des Antrags zum Monatsersten nach § 37 Absatz 2 Satz 2 SGB II sind Leistungen nach dem SGB II ab dem 15.06.2022 (Tag der Ausstellung der Fiktionsbescheinigung) zu bewilligen.“ - Übergangsregelung bis 31. August 2022: Für Personen, die schon vor dem 1. Juni 2022 die Voraussetzungen für den Rechtskreiswechsel erfüllen, weil sie schon im Mai eine Fiktionsbescheinigung oder Aufenthaltserlaubnis besitzen und im Mai Leistungen nach AsylbLG beziehen, besteht bis spätestens zum 31. August weiterhin ein nachrangiger AsylbLG-Anspruch nach § 18 AsylbLG, bis das Jobcenter seine Leistungsbewilligung anzeigt und die Zahlung beginnt. AsylbLG endet mit Ablauf des Monats, wenn das Jobcenter den Beginn seiner laufenden Zahlung für den Folgemonat ankündigt. Der AsylbLG-Träger hat dann Erstattungsansprüche und das Jobcenter zahlt der Person die Differenz nach. Die BA nennt dazu folgende Beispiele:
- Beispiel: Jobcenter bewilligt Leistungen am 29.06. Der AsylbLG-Behörde ist eine laufende Zahlung ab 01. August mitzuteilen. Es ist zu unterstellen, dass die Auszahlung der Leistungen nach dem AsylbLG für Juli bereits veranlasst ist; die erste Auszahlung von SGB II-Leistungen also am 01.08. erfolgt. Der AsylbLG-Behörde ist daher eine laufende Zahlung ab 01.08. mitzuteilen. Die SGB II-Auszahlung für Juni und Juli ist bis zum Eingang des Erstattungsanspruchs zurückzuhalten.
- Beispiel: Jobcenter bewilligt Leistungen am 10.06.Der AsylbLG-Behörde ist eine laufende Zahlung ab 01.07. mitzuteilen; die Auszahlung nur für Juni ist bis zum Eingang des Erstattungsanspruchs zurückzuhalten.
- Beispiel: Das Jobcenter informiert die AsylbLG Behörde am 27.05 telefonisch über die erfolgte Bearbeitung der SGB II-Bewilligung. Die AsylbLG Behörde hat für Juni noch nicht ausgezahlt. Die SGB II-Leistung wird laufend ab 01.06. bewilligt und dies wird nachträglich mitgeteilt. Ein Erstattungsanspruch wird vermieden.
- Wenn Antragsteller*in von Bekannten oder Verwandten in den Haushalt aufgenommen wurde, ist nach der BA-Weisung von einer Wohngemeinschaft auszugehen. Die Unterhaltsvermutung im Rahmen einer Haushaltsgemeinschaft soll in diesen Fällen nicht angewandt werden.
- Bewilligungen nach SGB II sind auf längstens sechs Monate zu befristen.
- Wenn kein Konto vorhanden ist und eine finanzielle Notlage besteht, soll das Jobcenter die Leistungen per Barcode bewilligen. In den ersten drei Monaten ist diese finanzielle Notlage anzunehmen.
- Partner*innen, die noch in der Ukraine leben, sind bei Bildung der Bedarfsgemeinschaft nicht einzubeziehen. Das heißt: Für die Partner*in in Deutschland gibt es Regelbedarfsstufe 1 und Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende.
- Personen, die eine Altersrente beziehen, sind aus dem SGB II ausgeschlossen (stattdessen SGB XII). Das gilt auch für den Bezug einer Altersrente nach ukrainischem Recht, „wenn diese in Funktion und Struktur der deutschen Altersrente entspricht und sie tatsächlich bezogen wird.“ Wenn die Altersrente in der Ukraine aber tatsächlich noch nicht bezogen wird, darf man nicht darauf verwiesen werden.
- Vermögen unter 60.000 Euro und 30.000 Euro für jede weitere Person wird für sechs Monate nicht berücksichtigt. Vermögen darüber wird nur berücksichtigt, wenn es verwertbar ist. Das ist z. B. bei Immobilienvermögen in der Ukraine nicht der Fall. „Hinzu kommt, dass auch die Beibringung von Nachweisen und Unterlagen in der Regel schwierig ist. Soweit Antragstellerinnen und Antragsteller glaubhafte Angaben machen, bedarf es diesbezüglich keiner weiteren Nachweise oder Ermittlungen. Ist bis auf Weiteres, d. h. zumindest für die Dauer des gesamten Bewilligungsabschnitts, nicht absehbar, dass ein wirtschaftlicher Nutzen aus dem Vermögen gezogen werden kann, sind die Leistungen als Zuschuss zu gewähren.“
- Einkommen muss nur nachgewiesen werden, soweit dies möglich ist (z. B. Kontoauszüge). Sofern im Bewilligungsbescheid nach dem AsylbLG kein Einkommen berücksichtigt wurde, kann dies für die Zeit des Rechtskreiswechsels als Anhaltspunkt dienen, dass zunächst weiterhin kein berücksichtigungsfähiges Einkommen vorhanden ist. Zahlungen aus einem Arbeitsverhältnis in der Ukraine zählen als Erwerbseinkommen und werden entsprechend angerechnet. Allerdings nur dann, wenn man über dieses Einkommen „in Deutschland tatsächlich verfügen kann. Die Berücksichtigung von Gehaltszahlungen scheidet somit aus, wenn diese einem Konto gutgeschrieben werden, auf das die leistungsberechtigte Person von Deutschland aus nicht zugreifen kann.“ Kosten der Miete in der Ukraine müssen von verfügbarem Einkommen abgezogen werden. Einkommen der Partner*in, die noch in der Ukraine lebt, darf nicht berücksichtigt werden, auch wenn die Person in Deutschland Zugriff darauf hat.
- Einkommen aus Kindergeld, Elterngeld oder Unterhaltsvorschuss wird (z. T.) angerechnet. Die BA weist darauf hin, dass schon mit Fiktionsbescheinigung ein Anspruch auf Kindergeld, Elterngeld und Unterhaltsvorschuss bestehen könne. Dies ist jedoch falsch. Erst mit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 24 besteht ab 1. Juni 2022 Anspruch auf diese Familienleistungen, nicht jedoch mit Fiktionsbescheinigung (vgl.: § 1 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe c) BKGG, § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c), EStG, § 1 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 Buchstabe c) BEEG sowie § 1 Abs. 2a S. 1 Nr. 2 Buchstabe c) UhVorschG). Ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss besteht zudem dann nicht, wenn der andere Elternteil zwar in der Ukraine lebt, aber keine eherechtliche Trennung beabsichtigt ist.
- Die Prüfung der Unterhaltspflicht einer unterhaltspflichtigen Person, die sich in der Ukraine befindet, entfällt.
- Krankenversicherung: Durch den SGB II-Bezug entsteht meist eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Die BA weist darauf hin, dass eine Wahlmöglichkeit der Krankenkasse besteht und das Jobcenter dann eine Anmeldung bei der gewählten Kasse vornehmen muss, auch wenn noch keine Mitgliedsbescheinigung der Krankenkasse vorliegt. Wenn keine Krankenkassenwahl durch die Person erfolgt ist, wählt das Jobcenter selbst eine Krankenkasse aus. „Liegt bei Bewilligung noch keine Versicherungsnummer vor, sollte den Leistungsberechtigten daher empfohlen werden, mit dem Bewilligungsbescheid bei der Krankenkasse vorzusprechen, damit im Bedarfsfall der Versicherungsschutz sichergestellt ist. Diese Übergangslösung kommt auch in Betracht, wenn eine Versicherungsnummer vorliegt und insoweit eine vollständige Anmeldung bei der Krankenkasse erfolgt ist, den Leistungsberechtigten aber noch keine elektronische Gesundheitskarte ausgestellt wurde. Zur Information: Die Krankenkassen stellen bei dringender Behandlungsbedürftigkeit in der Regel einen Abrechnungsschein aus, damit die Betroffenen ihren Leistungsanspruch gegenüber dem Leistungserbringer (z. B. Arzt) nachweisen können.“
Die Krankenversicherungspflicht entsteht rückwirkend zum 1. Juni, auch wenn die SGB-II-Bewilligung aufgrund des Übergangszeitraums erst später erfolgt.