Zwillingsschwestern aus Dornburg sollten zwei Tage vor Zeugnisvergabe abgeschoben werden. Flüchtlingsrat: Spielräume für Bleiberecht nutzen, statt um jeden Preis abzuschieben
Erneut ist es in Hessen zu einem Abschiebungsversuch von zwei Schülerinnen gekommen – zwei Tage vor der Zeugnisvergabe. Die beiden 15-jährigen palästinensischen Zwillingsschwestern Janna und Joud besuchen seit drei Jahren die Fürst-Johann-Ludwig-Schule in Hadamar, engagieren sich in zahlreichen AGs, haben Freundschaften geschlossen und sind in ihren Klassen fest integriert. Ihre Zeugnisse zeigen nicht nur solide schulische Leistungen, sondern auch ein durchweg positives Sozial- und Arbeitsverhalten. Sie haben Träume und Pläne: Beide möchten ihren Schulabschluss machen und später als Erzieherinnen arbeiten.
Am Mittwochmorgen stand die Polizei vor der Wohnung von Familie A., um die beiden Teenagerinnen und ihre Mutter nach Rumänien abzuschieben. Der Abschiebeversuch scheiterte, weil die alleinerziehende Aziza A. in der Stadt Erledigungen machte und nicht zuhause war. Erst vor vier Wochen hatten Unterstützer*innen der Familie eine Petition beim Hessischen Landtag eingereicht, in der um ein Bleiberecht für die drei Palästinenserinnen gebeten wurde.
„Es ist völlig unverständlich, wieso schon wieder zwei gut integrierte Schülerinnen aus der Schule und ihrem gewohnten Umfeld gerissen werden sollten, und das so kurz vor der Zeugnisvergabe“, empörte sich Timmo Scherenberg vom Hessischen Flüchtlingsrat. „Besonders dramatisch ist der Fall auch deshalb, weil die Familie kurz davor steht, eine Aufenthaltserlaubnis für gute Integration zu erhalten – für die erforderlichen Vorduldungszeiten fehlen nur noch wenige Monate. Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier noch schnell versucht werden sollte, mit der Abschiebung vollendete Tatsachen zu schaffen, bevor sie ein Bleiberecht bekommen konnten.“
Auch die Mutter der Zwillinge ist ein Vorbild an Engagement und Integrationsbereitschaft. Sie hat den Integrationskurs mit Erfolg abgeschlossen, den „Leben in Deutschland“-Test mit voller Punktzahl bestanden und spricht mittlerweile gut Deutsch. Sie arbeitet festangestellt bei einem regionalen Unternehmen, das sie als unverzichtbare Mitarbeiterin beschreibt. Darüber hinaus ist sie ehrenamtlich aktiv, unterstützt andere Geflüchtete bei Behördengängen, übersetzt für das Jobcenter und das Sozialamt und engagiert sich bei der Tafel in Limburg. Ihr freundliches, hilfsbereites Wesen wird von allen, die mit ihr zu tun haben, geschätzt.
Was die Familie in Rumänien, wo sie vor Jahren ein erstes Asylverfahren durchlaufen hatte, erwartet, ist das genaue Gegenteil von Sicherheit und Perspektive: Sie hat dort bereits Obdachlosigkeit, Gewalt, Behördenwillkür, sexuelle Übergriffe und massive Diskriminierung erlebt. Die Kinder haben Angst, wieder in eine Situation zurückzukehren, in der sie schutzlos und ohne Unterstützung sind. Die Mutter leidet zudem an Asthma und war in Rumänien medizinisch unterversorgt. Daher entschlossen sie sich, Rumänien trotz des dort erteilten Schutzstatus wieder zu verlassen. Die Familie hat in den letzten sieben Jahren 16 verschiedene Stationen durchlaufen und ist immer wieder entwurzelt worden – bis sie vor knapp vier Jahren nach Deutschland kam und hier Fuß fasste. Eine Rückkehr nach Rumänien würde für sie bedeuten, erneut alles zu verlieren – ihre Freund:innen, ihre Bildung, ihre Arbeit, ihre Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben.
Leider ist der Fall von Janna und Joud kein Einzelfall. In den letzten Monaten häufen sich in Hessen die Abschiebungen von bestens integrierten Kindern und Jugendlichen, wie zuletzt die Abschiebung der beiden Brüder Angad und Gunit aus der Johanna-Tesch-Schule in Frankfurt. Immer wieder werden junge Menschen, die hier zur Schule gehen, Freundschaften schließen und sich in die Gesellschaft einbringen, aus ihrem gewohnten Leben gerissen und in die Perspektivlosigkeit abgeschoben. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich um Integration bemühen – es zerstört auch das Vertrauen in einen Rechtsstaat, der Menschlichkeit und Zukunftschancen verspricht.
„Wir fordern die zuständigen Behörden auf: Stoppen Sie die Abschiebung der Familie A.! Geben Sie ihnen die Chance, ihren Weg in Deutschland weiterzugehen“, appellierte Scherenberg hinsichtlich des Einzelfalls und wandte sich gleichzeitig auch allgemein an die hessische Landesregierung: „Es kann nicht sein, dass es in Hessen immer wieder zu derartigen dramatischen Abschiebungsfällen kommt. Nutzen Sie die Spielräume für Bleiberecht, statt um jeden Preis abzuschieben, so wie Sie es auch im Hessischen Koalitionsvertrag verabredet haben!“