Der Hessische Flüchtlingsrat fordert CDU und SPD in Hessen auf, den Zugang in Arbeit und Ausbildung weiter zu ermöglichen und die fragwürdige Praxis der Duldungsverweigerung zu beenden
Der Hessische Flüchtlingsrat beobachtet aktuell, dass in vielen Städten und Gemeinden Hessens kaum noch Duldungen erteilt werden. Damit wird der Zugang zu Bleiberechten, Sprachkursen und Arbeitsmöglichkeiten für Menschen blockiert, die voraussichtlich länger in Hessen bleiben werden, weil sie faktisch nicht abgeschoben werden können. So leben in unserem Bundesland zahlreiche Menschen, die seit vielen Jahren geduldet sind, hier arbeiten, hier verwurzelt sind und längst Teil der Gesellschaft sind.
CDU und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag zwar eine Abschiebungsoffensive angekündigt, gleichzeitig aber auch formuliert:
„Wir möchten Abschiebungen vermeiden, wenn Menschen sich in unserem Land gut integriert, keine Straftaten begangen haben oder Gefährdungslagen vorliegen und sie bereits seit zwei Jahren einen festen, unbefristeten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz haben (einmaliger Stichtag: 31.12.2022). Gleichfalls werden wir bei Personen, die über einen Ausbildungsvertrag verfügen, für die Zeit der Ausbildung und die anschließende Beschäftigung eine großzügige Ermessensausübung anstreben.“
Seit dem Erlass des Hessischen Innenministeriums vom 24. Juni 2025 werden Duldungen jedoch nur noch in eng begrenzten Ausnahmefällen ausgestellt. Die lokalen Ausländerbehörden sind verpflichtet, vorab die Zustimmung des jeweils zuständigen Regierungspräsidiums einzuholen. Diese Zustimmung wird häufig verweigert, wenn eine Abschiebung theoretisch innerhalb der nächsten sechs Monate möglich erscheint. Die Formulierung dieser Sechsmonatsfrist stützt sich auf eine Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom April 2025. Aus unserer fachlichen Perspektive ist jedoch keineswegs zwingend, dieses Urteil derart restriktiv auszulegen oder eine generell erschwerte Erteilung von Duldungen daraus abzuleiten.
Gerade deshalb möchten wir die Aufmerksamkeit auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung lenken:
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 6. März 2003 (Az. 2 BvR 397/02, Rn. 37 f.) eindeutig festgestellt, dass „keine Konstellation vorstellbar ist, in der der Ausländer nicht einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung hätte“. Sobald absehbar ist, dass eine Abschiebung nicht ohne Verzögerung durchführbar ist oder ihr Zeitpunkt ungewiss bleibt, ist – unabhängig von einem Antrag – eine Duldung zu erteilen.
Auch wenn einzelne Oberverwaltungsgerichte seit 2023 eine engere Auslegung vertreten, bleiben zwei Punkte unmissverständlich klar:
- Die Möglichkeit zur Erteilung einer Duldung besteht fort.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts bildet weiterhin eine gültige, belastbare Grundlage. - Die Ausstellung einer Duldung behindert eine Abschiebung rechtlich oder praktisch nicht.
Die gegenwärtige, in Teilen Hessens bereits praktizierte restriktive Handhabung nimmt vielen Menschen jegliche Perspektive und konterkariert die migrationspolitischen Fortschritte der letzten Jahre. Beschäftigungsduldung, Ausbildungsduldung und Chancenaufenthaltsrecht setzen zwingend eine bestehende Duldung voraus. Wo jedoch kaum noch Duldungen erteilt werden, obwohl eine zeitnahe Abschiebung faktisch nicht stattfindet, werden legale Wege in eine gesicherte Bleibeperspektive systematisch versperrt.
Zudem bringt die Verweigerung von Duldungen erhebliche praktische Probleme mit sich. Menschen ohne gültige Duldung geraten bei polizeilichen Kontrollen in prekäre Situationen; Sicherheitsbehörden werden durch unnötige Identitätsfeststellungen zusätzlich belastet. Auch Leistungsbehörden verlangen weiterhin häufig die Vorlage einer Duldung – obwohl Leistungsansprüche unabhängig von ihr bestehen. Das führt zu langwierigen Klärungsverfahren und belastet sowohl Betroffene als auch Verwaltung unnötig.
Die Auswirkungen sind bereits heute deutlich sichtbar: Arbeits- und Ausbildungsaufnahmen scheitern, obwohl Betriebe händeringend Personal suchen. Dies führt zu Frustration bei den Betroffenen, bei Beratungsstellen und bei Arbeitgeber*innen gleichermaßen. Dabei schafft die Erteilung einer Duldung keinerlei neuen aufenthaltsrechtlichen Vorteil, der eine Abschiebung erschweren würde.
Vor diesem Hintergrund bitten wir dringend darum, dass die Regierungskoalition sich darauf verständigt:
Ausländerbehörden müssen ausreisepflichtigen Personen regelmäßig eine Duldung erteilen, wenn der Zeitpunkt einer Abschiebung nicht konkret benannt werden kann.